DGEKW-Studierendentagung Re:Memory – Führung der Jungen Geschichtswerkstatt Tübingen zur Universität im Nationalsozialismus und zum Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft

in Junge Geschichtswerkstatt Tübingen
DGEKW-Studierendentagung Re:Memory – Führung der Jungen Geschichtswerkstatt Tübingen zur Universität im Nationalsozialismus und zum Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft
DGEKW-Studierendentagung Re:Memory – Führung der Jungen Geschichtswerkstatt Tübingen zur Universität im Nationalsozialismus und zum Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft

DGEKW-Studierendentagung Re:Memory – Führung der Jungen Geschichtswerkstatt Tübingen zur Universität im Nationalsozialismus und zum Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft

Vom 6. bis 9. Juni 2025 fand am Ludwig-Uhland-Institut (kurz: LUI) die DGEKW-Studierendentagung „Re:Memory – Zwischen Erinnerung und Digitalität“ statt. Die Junge Geschichtswerkstatt Tübingen war eingeladen, am Sonntag, dem 8. Juni 2025, eine Führung zur Universität im Nationalsozialismus und zur Fachgeschichte des Instituts anzubieten.

Zoe Schrader, Tamara Leyhr und Jessica Reichert (alle EKW-Studentinnen und Mitglieder der Jungen Geschichtswerkstatt) führten rund 15 Studierende aus Freiburg, München und anderen Städten zunächst zur Stele des Geschichtspfads auf dem Schloss und anschließend durch das Institut.

Bereits im März hatte die Junge Geschichtswerkstatt im Rahmen des Zentralen Jugendguide-Treffens eine ähnliche Führung angeboten.

Die Universität Tübingen im Nationalsozialismus

Nach einer kurzen Einführung ging es zur Stele auf dem Schloss Hohentübingen. Tamara Leyhr gab dort einen Überblick über die Rolle der Universität in der NS-Zeit.

Die Ausgangslage in Tübingen war für die Nationalsozialisten günstig. Schon seit dem späten 19. Jahrhundert herrschte an der Universität ein antisemitisches und nationalistisches Klima. Am 9. März 1933 hissten Mitglieder des NS-Studentenbundes die Hakenkreuzfahne am Rathaus und an der Neuen Aula. Dies markierte die weitgehend bruchlose Übernahme der Stadt und Universität durch das NS-Regime.

Für jüdische Studierende wurde der Zugang zur Universität schrittweise unmöglich gemacht – 1935 verließ der letzte jüdische Student Tübingen. Die Universität erklärte sich damals stolz für „judenfrei“.

Im Schloss waren Institute untergebracht, die aktiv an der NS-Ideologie mitwirkten – etwa das 1934 gegründete „Rassenkundliche Institut“ unter Wilhelm Gieseler. Dort wurden rassistische Gutachten erstellt, die konkrete Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen hatten. Hans Fleischhacker nutzte für seine Forschung 309 Handabdrücke von Juden und Jüdinnen aus dem Ghetto Litzmannstadt. Er wollte nachweisen, dass man die Zugehörigkeit zur „jüdischen Rasse“ an Handabdrücken erkennen kann. 

Auch Sophie Ehrhardt war am Institut tätig – von 1942 bis 1968. Bereits zuvor hatte sie rassistische Forschungen in verschiedenen Konzentrationslagern durchgeführt. Sie war beteiligt an der Erfassung von Sinti und Roma im Deutschen Reich – eine Kartei, die später als Grundlage für deren Deportation nach Auschwitz diente. Ehrhardt nutzte diese Daten noch bis in die 1980er Jahre. 1948 wurde sie als „unbelastet“ entnazifiziert, zwei Strafverfahren gegen sie wurden eingestellt. 1957 wurde sie zur Professorin ernannt.

Die Liste an Wissenschaftler*innen, die an NS-Verbrechen beteiligt waren, ist lang (mehr dazu auf der Webseite des Projektes "NS-Akteure in Tübingen"). Eine umfassende Aufarbeitung blieb nach 1945 weitgehend aus. Zwar wurden über die Hälfte der Lehrenden zunächst entlassen – doch 85 Prozent von ihnen kehrten innerhalb eines Jahrzehnts an die Universität zurück.

Vom „Institut für Deutsche Volkskunde“ zur Empirischen Kulturwissenschaft

Weiter ging es zur „Kalten Herberge“, dem heutigen LUI. Jessica Reichert stellte das Gebäude vor, das 1934 zum „Institut für Deutsche Volkskunde“ wurde. Die Wahl des Standorts war bewusst: Das Fach sollte sichtbar und „herausragend“ – über der Stadt – auf dem Schloss untergebracht werden.

Leiter des Instituts war Gustav Bebermeyer, überzeugter Nationalsozialist, NSDAP-Mitglied und Organisator der Gleichschaltung an der Universität. 1933 wurde er auf eine eigens geschaffene Professur berufen und baute das Institut umfassend aus – mit Haspelturm, Bibliothek, Werkstatt und Sammlung.

Im Seminarraum gab Zoe Schrader einen Überblick über die Fachgeschichte. Das Institut blieb nach 1945 bestehen. 1948 wurde es in „Ludwig-Uhland-Institut“ umbenannt, um symbolisch Abstand zur NS-Vergangenheit zu nehmen. Mit Hermann Bausinger kam später eine inhaltliche Neuausrichtung. Er gilt als Begründer der modernen Empirischen Kulturwissenschaft in Tübingen und setzte sich offen mit der Vergangenheit des Fachs auseinander.

1970 wurde das Institut in „Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft“ umbenannt. Die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Fachgeschichte ist bis heute ein Teil des Selbstverständnisses des Instituts – nicht zuletzt angesichts der materiellen und architektonischen Spuren, die diese Geschichte hinterlassen hat.

Tour durch das LUI

Zum Abschluss führte Jessica Reichert durch die Räume des Instituts. Die Teilnehmenden erhielten zur Orientierung einen Raumnutzungsplan aus dem Jahr 1934. Die Führung begann im Seminarraum und führte durch die einzelnen Etagen des Institutes.

Das Institut gliederte sich damals in drei Hauptbereiche: Seminar, Sammlung und Archiv. Zusätzlich gehörte eine Werkstatt im Südflügel des Schlosses dazu. 1935 wurde der Haspelturm ausgebaut. Bebermeyer war sehr bemüht um die Einrichtung und nahm Kontakt zu Museen auf, um passende Möbelstücke zu erwerben. Einige wurden sogar eigens angefertigt.

Der Eingangsbereich wurde als „allgemein niederdeutsche Diele“ gestaltet – mit Bauernmöbeln, die Ländlichkeit suggerieren und eine „einheitliche deutsche Kultur“ inszenieren sollten.

Im Dachgeschoss befanden sich das Doktorandenzimmer, das Büro des Institutsleiters Bebermeyer, ein Vorzimmer sowie das Archiv. An der Treppe zum Turm hing ein rekonstruierter westgotischer Grabstein, versehen mit Hakenkreuzen. Er wurde kurz nach dem Zweiten Weltkrieg entfernt – nur die Sandsteinfassung ist heute noch sichtbar.

Im Untergeschoss war die Sammlung untergebracht, die u. a. aus Volkskunst und Hausmodellen bestand. Ab 1935 wurden diese Modelle in einer eigenen Werkstatt gefertigt. Drei von vier Räumen im ersten Untergeschoss des Haspelturms wurden für Ausstellungen genutzt. Auffällig sind die geschnitzten Türen: Ihre Rahmen und Füllungen zeigen Sinnbilder, die auf das germanische Altertum verweisen.

Letzte Station der Führung war die heutige Bibliothek des Instituts – damals ein Ausstellungsraum, ausgestattet mit Vitrinen entlang der Wände und um die tragenden Pfosten. Zum Abschluss blieb Zeit für Fragen und Diskussionen