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Gedenkstätte

Jüdische Geschichte und das Denkmal Synagogenplatz

Jüdische Geschichte in Tübingen

Bereits im Mittelalter lebten Jüdinnen und Juden in Tübingen, die im Jahr 1477 der württembergischen Herzog Graf Eberhard im Barte anlässlich der Universitätsgründung vertreiben ließ. Erst wieder ab Mitte des 19. Jahrhunderts kamen Jüdinnen und Juden im Zuge der Emanzipation und Industrialisierung in die Universitätsstadt, weil sie sich bessere Aufstiegschancen erhofften.

Zuvor hatte Leopold Hirsch aus Wankheim im Jahr 1850 das Bürgerrecht gegen den Widerstand des Tübinger Gemeinderats erkämpft. Die Menschen jüdischen Glaubens gründeten 1882 eine Gemeinde und ließen eine Synagoge in der Gartenstraße erbauen. Der Mittelpunkt der Tübinger Gemeinde, zu der auch die Reutlinger Jüdinnen und Juden gehörten, war das jüdische Gotteshaus, ein von außen schlichter, turmloser Bau mit orientalisch anmutender Innenausstattung. In der Einweihungsrede des zuständigen Bezirksrabbiners Michael Silberstein mischte sich die Freude über das endlich zugestandene Bürgerrecht mit Skepsis und Vorbehalten gegenüber einer sich bereits wieder regenden judenfeindlichen Stimmung. Die zu Anfang des 20. Jahrhunderts rund 140 Mitglieder (darunter 40 aus Reutlingen) zählende Gemeinde konnte sich als besoldeten Kultusbeamten nur einen Vorsänger, der zugleich auch das Amt des Religionslehrers versah, nicht aber einen Rabbiner leisten. Ihrer theologischen Ausrichtung nach war sie eine liberale, akkulturierte Gemeinde.

Die Tübinger Juden gehörten zum mittleren und höheren Bürgertum und übten vorwiegend selbstständige Berufe aus. Sie waren erfolgreiche Textilkaufleute, Viehhändler, Verleger, Rechtsanwälte, Ärzte und Bankiers. Der Zeitungsverleger Albert Weil baute die Tübinger Chronik (Vorgängerin des Schwäbischen Tagblatts) zum führenden Lokalblatt aus. Das Bankhaus Weil war die größte Privatbank und wichtiger Geldgeber der Stadt Tübingen. Der Geschäftswelt gaben Jüdinnen und Juden durch moderne Firmenkonzepte wichtige Impulse. Sie engagierten sich, wie der Rechtsanwalt Simon Hayum, in der Kommunalpolitik und, wie zum Beispiel der Jüdische Frauenverein, in der Sozialfürsorge. In den Vereinen war die jüdische Bevölkerung dagegen kaum integriert. Nach dem Ersten Weltkrieg machte sich in akademischen Kreisen und in Teilen des Mittelstandes ein wachsender Antisemitismus breit. Die Tübinger wählten zunehmend rechte Parteien und stimmten ab 1930 in immer größerer Zahl für die NSDAP.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ging die Ausgrenzung der Jüdinnen und Juden in Tübingen ab 1933 Schlag auf Schlag: Freibadverbot für Juden im Mai 1933, Angriffe auf jüdische Bürger, Abbruch der Geschäftsbeziehungen, Aufgabe und Zwangsverkäufe von Banken und Geschäften, ein sogenanntes "judenfreies" Cafe am Neckartor, Isolation und erzwungene Auswanderung. Von den rund 100 Gemeindemitgliedern in Tübingen konnten 80 Menschen rechtzeitig in das britische Mandatsgebiet Palästina, in die USA und in andere Länder fliehen. 23 Personen wurden nach Riga, Theresienstadt und Auschwitz deportiert und dort ermordet; nur zwei Menschen überlebten die Shoah.

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 demolierten SA- und SS-Männer im Zuge des reichsweit angeordneten Pogroms das jüdische Gotteshaus und brannten es auf Befehl des NSDAP-Kreisleiters Hans Rauschnabels nieder. Anschließend wurden fünf Tübinger Juden von der örtlichen Gestapo verhaftet und für mehrere Wochen in das KZ Dachau verschleppt. Einer von ihnen, Albert Schäfer, starb an den Folgen der Misshandlungen. Die durch Emigrationen erheblich verkleinerte jüdische Gemeinde musste sich im März 1939 auflösen, nachdem sie zuvor noch den vollständigen Abbruch ihrer zerstörten Synagoge zu bezahlen hatte. Das Grundstück musste sie 1940 weit unter Wert an die Stadt veräußern. Im Jahr 1949 wurde es an die neu gegründete Israelitische Kultusvereinigung Stuttgart zurückgegeben; diese verkaufte das Grundstück 1951 an einen Privatmann, der darauf ein Wohnhaus errichtete.

Das Erinnern

Jahrzehntelang erinnerte an die einstige Synagoge lediglich der aus der Gründerzeit erhaltene Umfassungszaun. Erst zum 9. November 1978 brachte die Stadt auf wiederholte Anregung hin eine Gedenktafel an einem benachbarten Brunnen an, der allerdings in keinem Zusammenhang mit der jüdischen Gemeinde steht. Die Empörung über die Inschrift "Hier stand die Synagoge der Tübinger Jüdischen Gemeinde. Sie wurde in der Nacht vom 9./10. November 1938 wie viele andere in Deutschland niedergebrannt" führte ein Jahr später zu einer zweiten Tafel: "Zum Gedenken an die Verfolgung und Ermordung jüdischer Mitbürger in den Jahren 1933–1945". Täter und Verantwortlichkeiten lässt aber auch dieser Text im Dunkeln.

Denkmal Synagogenplatz Tübingen

Aufgrund dieser unangemessenen Situation initiierte eine Projektgruppe der Geschichtswerkstatt Tübingen und der Dietrich-Bonhoeffer-Kirchengemeinde 1998 einen künstlerischen Wettbewerb zur Denkmalgestaltung am Standort der früheren Synagoge. Das im Jahr 2000 errichtete Denkmal der Architekten Werkgemeinschaft Nürtingen und des Bildhauers Gert Riel erinnert an die zerstörte Synagoge und an das Leben der Juden in der Universitätsstadt. Ein den Brunnen umgebender Stahlkubus mit 101 quadratischen Öffnungen symbolisiert die frühere Synagoge. Die 101 Öffnungen stehen für die vertriebenen und ermordeten Tübinger Jüdinnen und Juden. Ihrer wird namentlich auf drei Tafeln an der Wasserrinne gedacht. Auf der Innenseite einer hohen Stahlstele sind Texte zur Geschichte, Entwicklung und Zerstörung der jüdischen Gemeinde Tübingen-Reutlingen angebracht. Eine weitere, von Professor Utz Jeggle verfasste Texttafel, dokumentiert den schwierigen Umgang mit dem Synagogengrundstück in den letzten Jahrzehnten. Inzwischen wurde vom Förderverein für jüdische Kultur in Tübingen e.V. am ehemaligen Synagogenzugang eine Informationstafel errichtet, die die dortigen baulichen Überreste erläutert.

Publikationen

  • Adelheid Schlott, Die Geschichte des Tübinger Synagogenplatzes (Tübingen 2009).
  • Adelheid Schlott, Zur Erinnerung an die Synagoge in Tübingen Gartenstraße 33 (1882-1938): Zeugnisse und Dokumente (Tübingen 2016²).
  • Geschichtswerkstatt Tübingen, Wege der Tübinger Juden. Eine Spurensuche (Film, Deutschland 2004).
  • Geschichtswerkstatt Tübingen e.V. (Hg.), Zerstörte Hoffnungen. Wege der Tübinger Juden (Stuttgart 1995).
  • Martin Ulmer, "Pogromnacht 1938. Die Zerstörung der jüdischen Gemeinde und die Folgen", in: Tübinger Blätter 1998/99, S. 27-31.

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