Jubiläumsfeier 40 Jahre Geschichtswerkstatt Tübingen

in Veranstaltungsbericht
Jubiläumsfeier 40 Jahre Geschichtswerkstatt Tübingen
Jubiläumsfeier 40 Jahre Geschichtswerkstatt Tübingen

Jubiläumsfeier „40 Jahre Geschichtswerkstatt Tübingen“

Am 13. Oktober 2024 feierte die Geschichtswerkstatt Tübingen ihr 40-jähriges Bestehen. Die Jubiläumsveranstaltung bot eine Gelegenheit, auf die vielfältigen Projekte und Veröffentlichungen des Vereins zurückzublicken, die einen bedeutenden Beitrag zur historischen Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der Region geleistet haben.

40 Jahre Geschichtswerkstatt Tübingen. Foto: Jessica Reichert.

Begrüßung und Grußworte

Monika Schober, Vorstandsmitglied der Geschichtswerkstatt, führte durch den Abend und hieß die Gäste herzlich willkommen. Im Anschluss folgten Grußworte von Dr. Gundula Schäfer-Vogel, der ersten Bürgermeisterin der Universitätsstadt Tübingen, und Heinz Högerle, dem Vorstand des Gedenkstättenverbunds Gäu-Neckar-Alb e.V.

Dr. Schäfer-Vogel betonte in ihrer Rede die Bedeutung des Engagements der Geschichtswerkstatt Tübingen. Sie hob hervor, wie wichtig es sei, die Geschichte der Juden und Jüdinnen in Tübingen zu bewahren und an die Opfer des Nationalsozialismus zu erinnern. Zudem unterstrich sie die produktive Zusammenarbeit zwischen der Stadt Tübingen und der Geschichtswerkstatt, die in zahlreichen Veranstaltungen und Besuchsprojekten mündete.

Heinz Högerle würdigte die kontinuierliche Arbeit der Mitglieder. Besonders hob er das Buch „Zerstörte Hoffnungen. Wege der Tübinger Juden“ von 1995 hervor, das durch wissenschaftliche Gründlichkeit überzeugt. Zudem erwähnte er das Projekt zum Synagogenplatz, das von der Geschichtswerkstatt initiiert wurde und 2000 zur Einweihung des Denkmals führte.

 

Die vielfältigen Projekte der Geschichtswerkstatt Tübingen

Im weiteren Verlauf seiner Rede schilderte Heinz Högerle auch andere bedeutende Projekte und Veröffentlichungen der Geschichtswerkstatt Tübingen, wie den Film „Wege der Tübinger Juden. Eine Spurensuche“, den 2016 eröffneten Geschichtspfad sowie die 2020 veröffentlichte Webseite „NS-Akteure in Tübingen“. Er betonte weiter die zentrale Rolle der Geschichtswerkstatt für die Lokalgeschichte Tübingens und lobte die Kooperationen mit der Stadt, der Volkshochschule und dem Landestheater. Auch die Rolle der Geschichtswerkstatt als eines der Gründungsmitglieder des Gedenkstättenverbundes Gäu-Neckar-Alb, insbesondere auch die Funktion von Martin Ulmer, der seit 2012 Geschäftsführer des Verbundes ist, und in dieser Funktion wichtige Projekte vorgeschlagen und mitgetragen hat, sind wichtig zu nennen. Außerdem beteiligte sich die Geschichtswerkstatt Tübingen von Anfang an der Familiendatenbank „Jüdische Familien im Südwesten“ von Andrea Dettling.

Hervorzuheben sei nach Heinz Högerle zudem die Einbindung junger Menschen, wie etwa durch die Jugendguide-Ausbildung oder die Junge Geschichtswerkstatt. Dies sei auch für die Zukunft der erinnerungskulturellen Arbeit wichtig.

 

Rückblick auf die Gründungsjahre und die Entwicklung

Ulrike Baumgärtner und Martin Ulmer, beide Mitbegründer der Geschichtswerkstatt, gaben den Gästen einen Einblick in die Gründungsjahre des Vereins. Martin Ulmer erinnerte an seine Teilnahme an einem Seminar zur „Geschichte von unten“ bei Prof. Dr. Bernd-Jürgen Warneken und dem Geschichtsfest 1983 in Berlin. Durch diese Impulse sowie Vorträge und Workshops zum schwedischen Konzept der Geschichtswerkstätten, fasste Martin Ulmer den Entschluss, dass auch in Tübingen eine solche gegründet werden müsste. Nach zwei Vorträgen in der Volkshochschule Tübingen fanden sich Gleichgesinnte wie Ulrike Baumgärtner. So kam es zur Gründung der Geschichtswerkstatt 1984. Der erste öffentliche Auftritt der Gruppe erfolgte 1985 mit einer Führung zum Nationalsozialismus. 1988 wurden erste Forschungsergebnisse veröffentlicht. Im selben Jahr konzipierte die Geschichtswerkstatt eine Ausstellung mit dem Titel „Spuren jüdischen Lebens in Tübingen“. Eine für die Ausstellung gefertigte Säule wurde auch in der Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museum in Berlin gezeigt. Forschungsreisen nach Israel und die USA führten letztendlich zum Buch „Wege der Tübinger Juden. Eine Spurensuche“. Neben dem Denkmal Synagogenplatz und dem Geschichtspfad zum Nationalsozialismus, ist die seit 2012 bestehende Jugendguide-Ausbildung und Tätigkeit zu nennen. Seit 2017 könne sich Jugendguides in der Jungen Geschichtswerkstatt mit Führungen und eigenen Projekten engagieren.

Ulrike Baumgärtner und Martin Ulmer geben einen Rückblick auf die letzten Jahrzehnte.
Foto: Andrea Dettling.

Die Geschichtswerkstatt in Zahlen

Martin Ulmer nennt mit Blick auf die Gegenwart Zahlen, die zeigen, was für eine Arbeit in den vielen Projekten der Geschichtswerkstatt Tübingen steckt. Es gibt 20 aktive und 15 passive Mitglieder. Die Mitglieder der Geschichtswerkstatt leisten zwischen 2500 bis 3000 ehrenamtliche Stunden. Seit 2016 gibt es eine hauptamtliche Angestellte in Teilzeit sowie vier forschende Arbeitskreise (Familie Hirsch, NS-Akteure in Tübingen, NS-Zwangsarbeit, Rechtsextremismus). Außerdem gibt es seit 2017 die Junge Geschichtswerkstatt. Pro Jahr bietet die Geschichtswerkstatt ca. 25 Führungen für Schulklassen und Erwachsene an. Daneben gibt es Bildungspartnerschaften mit dem Kepler-Gymnasium und dem Karl-von-Frisch-Gymnasium. Zuletzt besuchen jährlich zwei bis drei Nachkommen Tübinger Juden Tübingen und die Geschichtswerkstatt.

 

Die dunkelste Geschichte erleuchten

Nach dem Einblick in die vergangenen Jahre durch Ulrike Baumgärtner und Martin Ulmer übergab Heidi Ernstberger, Vorstandsmitglied und Kassiererin der Geschichtswerkstatt, beiden ein Geschenk. Dieses soll als Symbol ihrer Arbeit dienen, da mit einer Lampe die Dunkelheit erleuchtet werden kann – so wie es Ulrike Baumgärtner und Martin Ulmer mit der dunklen Vergangenheit Tübingens gemacht haben. Auch in Zukunft soll das Licht weiter strahlen und Kraft für die weitere Arbeit geben.

Heidi Ernstberger (rechts) überreicht Ulrike Baumgärtner und Martin Ulmer eine Lampe als Symbol ihrer Arbeit. Foto: Andrea Dettling.

Musikalische Untermalung

Die musikalische Begleitung durch Jochen Brusch (Violine) und Maya Murakami (Piano) mit Werken von Ludwig van Beethoven bildeten den perfekten Rahmen für die Jubiläumsveranstaltung.

Festvortrag: „Geschichte gehört allen – Utopien, Projekte, Bewegungen“

Alfred Georg Frei ist ein Experte u. A. im Bereich der Geschichtswerkstätten. Er war jahrelang ein Mentor der Geschichtswerkstätten-Bewegung. In seinem Vortrag „Geschichte gehört allen: Utopien, Projekte, Bewegungen“ gab Frei einen Einblick in die Methodik von Geschichtswerkstätten. Die Beschäftigung mit Geschichte soll dabei zur Orientierung dienen. Dabei sind Erinnerungen wichtig, um die Geschichte zu formen und Fragen der Gegenwart zu beantworten. Er geht auch auf den Sinneswandel in der Geschichtswissenschaft Anfang und Mitte der 1980er-Jahre ein und nennt verschiedene Faktoren dieses Wandels. Frei verglich auch die Geschichtswerkstatt Tübingen mit anderen Geschichtswerkstätten und hob die Besonderheiten hervor wie die kontinuierliche Aufarbeitung des Nationalsozialismus, die weitreichende Digitalisierung (Homepage, Facebook, Instagram und NS-Akteurs-Projekt) und die Jugendarbeit mit der Jungen Geschichtswerkstatt hervor.

Lesungen: Einblicke in die Arbeit durch Mitglieder der Geschichtswerkstatt

Ein weiterer Höhepunkt des Abends waren die abwechslungsreichen Lesungen, in denen Mitglieder der Geschichtswerkstatt Projekte wie den Geschichtspfad vorstellten und aus der Vielzahl an Veröffentlichungen vorlasen. Es lasen im Raum verteilt vor: Jessica Reichert, Gisela Kehrer-Bleicher, Brigitte Fritz-Wais, Valentin Heinze, Titus Lenk, Anja Hogreve und Heidi Ernstberger.

Empfang und Ausklang des Abends

Die Gäste hatten bei einem Buffet die Gelegenheit sich auszutauschen und auf die vier Jahrzehnte engagierter Arbeit der Geschichtswerkstatt anzustoßen. Auf einem Büchertisch waren Veröffentlichungen und Flyer der letzten Jahrzehnte ausgelegt. Außerdem gab es ein Gästebuch für Glückwünsche und Wünsche für die Zukunft. Es wurde außerdem der Film „Wege der Tübinger Juden. Eine Spurensuche“ gezeigt. Auf großen Pinnwänden konnten die Gäste Einblick in die Ausstellung zum Grabert-Verlag von Hans-Peter Hellermann bekommen und Bilder aus der Arbeit der Geschichtswerkstatt sehen. Die Fotowände zeigten neben den Reisen nach Israel und die USA auch vergangene und aktuelle Projekte sowie Besuche ehemaliger Tübinger Juden und ihrer Nachkommen in Tübingen.

v. l. n. r.: Monika Schober zusammen mit Ulrike Baumgärtner und Martin Ulmer vor den Fotowänden.
Foto: Jessica Reichert.
Das Buffet und der Empfang nach dem Programm. Foto: Geschichtswerkstatt Tübingen.

40 Jahre Geschichtswerkstatt Tübingen

Die Feier zum 40-jährigen Jubiläum der Geschichtswerkstatt Tübingen zeigt, wie sich der Verein im Laufe der Jahrzehnte zu einem unverzichtbaren Akteur der Erinnerungskultur in Tübingen entwickelt hat. Auch weiterhin wird die Geschichtswerkstatt Tübingen für eine lebendige Erinnerungskultur sorgen und Licht in die Vergangenheit bringen.

Von Jessica Reichert

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