TBD
Dokumentation

Erinnerung an Sinti und Roma

Einjähriges Projekt von 2018 bis 2019.

Unser einjähriges Projekt zur "Erinnerung an Sinti und Roma" 2018-2019 entstand aus dem Eindruck, dass unser eigenes Wissen sowie die Erinnerungskultur mit Blick auf diese Opfergruppe des NS ziemliche Lücken aufweist. Unser Ziel war es, uns selbst und andere über die Geschichte der Sinti und Roma allgemein und insbesondere in Tübingen zu informieren, in Austausch mit den Engagierten der Minderheit zu treten und die moralische und politische Notwendigkeit der Erinnerung öffentlicher zu machen.

Neben der eigenständigen Recherche und dem internen Austausch zum Thema organisierten wir eine Veranstaltungsreihe. Den Auftakt stellte eine Podiumsdiskussion in der VHS Tübingen zum Thema "Vergessene Opfer" im Juni 2018 dar, bei der Expert:innen unter anderem die Marginalisierung von Homosexuellen, sogenannten "Asozialen" und "Kriminellen" und eben Sinti und Roma als Opfer des NS diskutierten. Insbesondere der biografische Beitrag der Aktivistin der Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma Ilona Lagrene, Kind von Porajmos-Überlebenden, wirkte eindrücklich auf uns alle. Gemeinsam ist ihnen die Kontinuität der Verfolgung nach 1945, die Nicht-Anerkennung als Opfer und die selbst erkämpfte späte Erinnerung an sie.

Unsere Podiumsdiskussion in der VHS Tübingen zu marginalisierten Opfergruppen, rechts: Ilona Lagrene.

Foto: Junge Geschichtswerkstatt Tübingen

Führung zur Verfolgung von Sinti und Roma in Tübingen, Juni 2019.

Foto: Junge Geschichtswerkstatt Tübingen

Im Januar 2019 veranstalteten wir eine Exkursion ins Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg. Dort besuchten wir die Ausstellung, bekamen Einblick in die Arbeit der pädagogischen Abteilung und hatten ein Gespräch mit Ilona Lagrene. Sie hat sich unter anderem für die Anbringung der Gedenktafel an der Mauer der Stiftskirche in Tübingen eingesetzt. Im Juni 2019 konnten wir bei unserem neu erarbeiteten Stadtrundgang "Sinti und Roma und Tübingen" unser neues Wissen präsentieren. Bei einer weiteren Podiumsdiskussion im Juli 2019 informierten und diskutierten aktivistische Expert:innen (Lucius Teidelbaum und Ulrich Hägele) Antiziganismus als gegenwartspolitisches Thema - auch in Tübingen. An der Veranstaltung nahmen einige der in den 1980er Jahren engagierten Tübinger:innen teil.

Das Projekt, das weder als solches geplant noch vollends "abgeschlossen" ist, hat uns ziemlich bewegt, gerade weil wir auf so viele Grenzen gestoßen sind - im Wissen, aber auch in der gesamtgesellschaftlichen Bereitschaft, den Völkermord und den anhaltenden Antiziganismus als Unrecht zu begreifen. Auch wenn viele interessiert waren und die Idee lobten, waren die krassen bis menschenverachtenden Vorurteile (wenn auch leise) Teil aller Rundgänge und Veranstaltungen, gegen die es schwer anzukommen ist, wenn man selbst und die meisten um einen herum letztlich wenig wissen. Wir sind sensibilisiert, das immerhin, und versuchen seitdem das Thema mit den immensen Verbindungen an die Uni Tübingen in unseren Rundgängen aufzugreifen.

In Tübingen ist die Rolle der Universität durch die "Rassenforschungen", die hier unter anderem durch Robert Ritter und Sophie Ehrhardt betrieben wurden, zwar einigermaßen bekannt. Der Blick auf die brutalen Auswirkungen auf Sinti und Roma in ganz Europa bleibt aber häufig unerwähnt, ebenso die krasse Kontinuität und Vertuschung dieser Forschung Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Erst durch das beständige Engagement des Landesverbands Deutscher Sinti wurden ein Teil der rassistischen Akten aus dem Uniarchiv dem Bundesarchiv übergeben und eine Gedenktafel am Holzmarkt eingeweiht werden. Ebenso unbekannt ist für viele, dass die Sinti-Familie Laubinger in Tübingen unmittelbar von der Verfolgung betroffen war; ein Sohn wurde durch die Nazis ermordet.

Führung zu marginalisierten Opfern auf dem Tübinger Holzmarkt vor den Gedenktafeln an die ermordeten Sinti und Roma, Mai 2018.

Foto: Junge Geschichtswerkstatt Tübingen

Aktuelle Projekte